… möchte ich in diesem Blogpost vor meinem geistigem Quarantäne-Auge Revue passieren lassen. Ich bin mittlerweile schon am Ende meiner 14-tägigen Qurantäne, da ich mit einem positiv auf Corona getesteten Menschen beruflichen Kontakt hatte. Gerade in einer Zeit, welche man ausschließlich in der Wohnung verbringt, greife ich oft zum Buch und was fällt mir dann jedes Mal entgegen? Ein Lesenzeichen. Das ist nicht irgendein Lesezeichen, sondern es ist ein ganz besonderes Lesezeichen.
Dieses Lesezeichen kaufte ich in Marokko. In einer einsamen Kasbah mit Blick auf die ersten Dünen der Sahara. Genau dieses Motiv wurde von einem lokalen Künstler auf dieses Stück Papier gemalt. So wächst jedes Mal mein Fernweh bis ins unermessliche an, sobald ich dieses Lesezeichen in den Händen habe – denn der Weg zu diesem Lesezeichen war nicht der einfachste und mit allerhand Abenteuern gespickt.
Mit dem Auto mitten über den Djemma al Fna
Der Tag des neuen Lesezeichens begann recht früh. Kurz vor Sonnenaufgang – halb Marrakesch schlief noch – verließen wir unser Riad, um den französischen Mietwagen über den Hohen Atlas zu quälen. Die Temperaturen waren im einstelligen Minusbereich, die Heizung im Auto war auf Anschlag gedreht und Marrakesch war ungewohnt leise. Zum Glück war die Stadt menschenleer, da es dem Navi nicht wirklich gelang, uns durch das Zentrum von Marrakesch zu lotsen. Wir fuhren quer über den leeren Djemma al Fna und durch die unendlich vielen – und viel zu engen – Souks. Letztlich haben wir es doch irgendwie geschafft und das ganz ohne abgefahrenen Seitenspiegel am Mietwagen. Die ersten Händler, die auf dem Weg zu den zahlreichen Souks (Märkte) waren, teilten sich mit uns die Wege und fragten sich mit Sicherheit, warum wir zu dieser Zeit mit dem Auto durch die markthallenähnlichen Souks fahren.
Auf noch leerer Straße in Richtung Wüste
Je weiter wir uns vom Stadtzentrum entfernten, desto weniger spendeten die Straßenlaternen Licht und schon bald fuhren wir im Lichtkegel des Mietwagens über den Highway in Richtung Wüste.
Trotz leerer Straßen, war Vorsicht geboten: Die zahlreichen Eselskarren, vollbeladene LKW und überladenen PKWs waren teils unbeleuchtet und doch recht sportlich unterwegs.
Mit zunehmender Fahrzeit näherten wir uns nicht nur dem Hohen Atlas, sondern die aufsteigende Sonne zog mehr und mehr die Menschen auf die Straßen. Egal ob per Fuß, per Rad oder mit Esel – die Straßen verloren ihre Ruhe.
Zum Straßenbild gehörten nun zahlreiche Kinder, die sich auf ihren Schulweg begaben und versuchten, eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen.
Die längste Baustelle von Marokko
Zu diesem Zeitpunkt kamen wir gut voran, die Kilometer bis zum Ziel schrumpften stetig und wir lobten die marokkanischen Straßen – nicht nur einmal mit den Worten: „Das Essen ist hier lecker, das mobile Internet ist schnell und die Straßen perfekt ausgebaut!“ Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wussten, das wir nur wenige Fahrminuten von der längsten Baustelle Marokkos entfernt waren und wir uns bald jeden Kilometer hart verdienen mussten.
Die Baustelle war abenteuerlich. Selbst in Nepal – auf unserem Weg von Kathmandu nach Phokara – hatten wir nicht solch eine lange Baustelle erlebt. Als pflichtbewusster Deutscher haben wir uns schon nach dem ersten Meter gefragt, ob das Befahren dieser Straße wohl von unserer Versicherungspolice abgedeckt wird?!
Nach jedem weiteren Kilometer, den wir mit dem Mietwagen hinter uns gebracht haben, fragten wir uns abwechselnd mit steigender Genervtheit (btw.: Ich habe gerade ein Wort erfunden.): „Wie lang kann eine Baustelle in Marokko sein?“
Nah-Rallye-Erfahrung im Hohen Atlas
Auf der Passhöhe angekommen, fanden wir einen kleinen Parkplatz sowie ein paar kleine Stände vor, bei welchen man die obligatorischen Snacks kaufen konnte. Nach dem Gipfelfoto vor dieser unbeschreiblichen Landschaft ging es wieder zurück ins Auto. Schon für diesen Anblick hat sich das Durchfahren der längsten Baustelle von Marokko gelohnt.
Kaum hatte ich den Motor gestartet, kamen allerhand alte und bunt beklebte Rallye-Autos angefahren. Diese Menschen haben sich anscheinend einen ihrer Lebensträume erfüllt und entdecken das Land, in dem sie an dieser Jedermann-Rallye teilnehmen. Ich muss ja zugeben, dass dies auch einer meiner Träume ist.
Von nun schlängelte sich die Passstraße wieder in das Tal. Immer in Richtung Ouarzazate, immer in Richtung Sahara. Je niedriger wir uns vorarbeiteten, desto wärmer wurde es und desto mehr Menschen zeigten sich am Straßenrand. Bald durchfuhren wir wieder erste kleine Dörfer. Die Dörfer bestanden größtenteils aus alten Steinhäusern, die perfekt an die teils eintönige Umgebung angepasst waren.
Ouarzazate – Das Paradies vor den Toren der Sahara
Je näher wir Ouarzazate kamen, desto flacher wurde die Landschaft. Hier wurde das Gefühl „Ich bin der Wüste ganz nah!“ und „F%$§ck, haben wir noch genug Wasser?“ immer größer. Es war staubtrocken und die Vegetation wurde immer karger. Mit großer Vorfreude fuhren wir durch das Stadttor, des auf einer Höhe von 1160m liegenden, Ortes. Ouarzazate wurde erst 1928 gegründet. Sie sollte als Garnisionsstadt der Fremdenlegion dienen. Davor stand an der Stelle des Ortes lediglich eine Kasbah (Wohnburg).
Diese Kasbah sollte das Ziel unserer Landpartie über den Hohen Atlas sein. In der Kasbah Taourirt lebten damals sowie heute Menschen des Haouza-Stammes. In der Vergangenheit profitierte die Kasbah stark von ihrer guten Lage – dem Zusammenfluss mehrerer Täler. Dadurch führten hier viele Handelsrouten aus der Sahara in Richtung Marrakesch vorbei. Und wo Leute zusammentreffen wird es lustig.
Wir schauten uns die Kasbah natürlich an und schlenderten durch die zahlreichen Räume, welche auf mehreren Etagen verteilt sind und fantastische Ausblicke auf die Wüste freigeben. Noch heute leben hier Angehörige des Haouza-Stammes. Leider wussten wir das damals noch nicht, sonst hätte ich einfach mal geklingelt und hätte mich ganz frei auf einen Minztee eingeladen.
Kommen wir zum Punkt: Der Lesezeichen-Kauf
In einem dieser Räume hatte sich ein Künstler eingemietet, welcher seine Kunsterwerke (überwiegend Gemälde) verkaufte. Ich mag es ja total, mit den Künstlern – egal ob Musiker, Straßenkünstler oder Maler (nennt man das heutzutage noch so?) – über ihre Kunst zu sprechen und mir erklären zu lassen, welche Gedanken sie zu ihren Kunstwerken haben und wie ihr Objekt der Begierde entstanden ist.
Leider war hier keine Spur vom Künstler. Auch nach 10 Minuten des Wartens tauchte niemand auf und somit habe ich den ausgepreisten Preis mitsamt einem Trinkgeld sowie einer freundlichen Nachricht hinterlegt und mir zwei Lesezeichen mitgenommen bzw. gekauft. Diese Lesezeichen erinnern mich von diesem Zeitpunkt an die wundervolle Kasbbah und die abenteuerliche Landpartie über einen Pass des Hohen Atlas‘.
Abschied nehmen und zurück nach Marrakesch
Vor der Rückfahrt bestaunten wir noch einige der Souks, die sich vor der Kasbah befinden. Auf den Souks gab es allerhand Trödel. Es war nur schwer einzuschätzen, ob diese tollen Gegenstände wirklich Antiquitäten sind oder gefälschter Trödel. Schön anzusehen, war es alle mal.
Leider haben wir die Reiseroute so geplant, dass wir wieder nach Marrakesch zurück mussten. Beim nächsten Mal würden wir auf jeden Fall 1-2 Nächte in Ouarzazate bleiben und von hier den Sternenhimmel genießen. Bevor das Boardpersonal durchrief „The next stop ist Marrakesch“, ging es für einen kurzen Fotostop zu dem UNESCO Weltkulturerbe UNESCO Ait Ben Haddou. An diesem Ort und zugleich bekannter Filmkulisse durfte die Reisegruppe „Kamelfleich Tajine“ auf keinem Fall vorbeifahren,
Danach ging es nun wirklich zurück. Auch auf der Rückfahrt quälten wir den Mietwagen wieder über den Hohen Atlas und durch die längste Baustelle der Welt.
Mit den Vorstadtkrokodilen zurück zum Riad
In Marrakesch angekommen war es mittlerweile dunkel geworden. Wir wohnten recht zentrumna – in einem Viertel voller Riads und dadurch hatten wir echt Probleme unsere Unterkunft innerhalb dieser unzähligen Gassen zu finden. Zum Glück habe ich ein paar Jungs auf Fahrrädern erspäht. Ich ließ die Scheibe herunter und ohne, dass ich etwas sagen musste, wussten sie schon, wie sie uns helfen konnten.
Auf Englisch versuchten wir ihnen irgendwie zu sagen, wo unser Riad liegt. Die Vorstadtkrokodile von Marokko traten in die Pedale ihrer Drahtesel und lotsten uns – teils durch abenteuerliche Gassen – zurück in unser Viertel. Von dort fanden wir – nachdem wir ihnen ein kleines Dankeschön gaben – allein zu unserem Riad zurück.
Was war das für ein Tag?
Am Tagesende hingen meine Gedanken abermals bei den Rallyefahren, wo werden sie wohl jetzt sein und übernachten? Wie wäre es gewesen, wenn wir in der Wüstenstadt Ouarzazate geschlafen hätten und uns danach noch weiter in die Ferne vorgetraut hätten?
Ein abenteuerlicher Tag war es allemal – nicht zu letzt wegen der längsten Baustelle des Universums. Ein Tagesausflug von Marrakesch nach Ouarzazate ist empfehlenswert. Das kann man auf jeden Fall machen. Der Weg ist aber weit, gerade wenn es am gleichen Tag wieder zurückgeht. Aber gelohnt hat es sich allemal. Nicht zu letzt wegen dem Lesezeichen!