
Indien hat uns herausgefordert. Alles war ein bisschen wilder, schmutziger, lauter, spontaner – und größer. Das Land hat fast die gleiche Einwohnerzahl wie China, doch diese 1,4 Milliarden Menschen leben auf nur einem Drittel der Fläche. Da wird schnell deutlich, warum es auf Indiens Straßen so eng ist. Man läuft keine zehn Meter, ohne jemandem zu begegnen oder angesprochen zu werden.
Daran muss man sich erst einmal gewöhnen. Man trifft einfach überall Menschen – und viele sprechen einen an. Hier habe ich gelernt, „Nein“ zu sagen.
Aber genau das kann auch schön sein: wenn man auf einem Spaziergang vielen Menschen begegnet und einige davon wunderbare Gespräche entstehen. Besonders meine Spaziergänge durch Jaipur haben mir bleibende Erinnerungen geschenkt – vor allem die Begegnungen mit den Menschen dort.
Wir lernten den besten Tuktuk-Fahrer von Jaipur kennen
Ein paar Mal wurden wir von Tuktuk-Fahrern übers Ohr gehauen. Entweder wollten sie im Nachhinein mehr Geld, oder sie behaupteten, der vorher verhandelte Preis habe nur für eine Person gegolten. Manchmal hielten sie sich schlicht nicht an die Abmachung – wir mussten dann zweimal nachverhandeln. Ein anderes Mal brachte man uns sogar ganz woanders hin, als ursprünglich vereinbart.
Kein Wunder also, dass wir kein gutes Gefühl hatten, wenn wir ein Tuktuk bestiegen. Ein Rest Misstrauen fuhr immer mit.
All das änderte sich in Jaipur, als wir Adithya kennenlernten. Eigentlich wollten wir zu Fuß in ein Restaurant laufen, aber die Strecke war wenig einladend. Also hielten wir ein Tuktuk an – mit der Erwartung, gleich wieder eine mühsame Diskussion über den Preis führen zu müssen.
Doch es kam ganz anders. Der Fahrer begrüßte uns freundlich und reichte uns sein Handy, damit wir unser Ziel eingeben konnten. Danach fuhr er in einem entspannten Tempo durch Jaipur, interessierte sich für uns und wir unterhielten uns angeregt.
Leider war die Fahrt viel zu schnell vorbei. Vor dem Restaurant plauderten wir noch eine Weile weiter, und schließlich fragte ich ihn, ob ich ihn mit seinem Tuktuk fotografieren dürfe.
Er willigte sofort ein und fühlte sich sichtlich wohl vor der Kamera. Wir lachten, schauten uns die Fotos auf dem kleinen Display an – und er freute sich ehrlich über die Bilder. Also bot ich an, sie ihm per WhatsApp zu schicken. So tauschten wir noch unsere Nummern aus, bevor wir uns verabschiedeten.



Bis heute haben wir noch regelmäßigen Kontakt über WhatsApp. Wir schreiben uns nette Nachrichten und schicken uns ab und zu Fotos aus unserem Alltag. Bald werde ich ihm die Ausdrucke der schönsten Porträts per Post zusenden.
Die Begegnung mit Adithya war ein wunderbarer Zufall. Von diesem Moment an war ich mit Indien versöhnt – und mit diesem neuen Mindset sollte ich auch nicht enttäuscht werden.
Wie ich für einen Tag der ‚Fotograf von Jaipur‘ wurde …
…werde ich wohl nie vergessen. Es war ein wunderschöner Nachmittag, an dem ich sehr nette Menschen kennenlernte, ihnen völlig vertraute – und dafür reich belohnt wurde.
Aber der Reihe nach:
An diesem Tag war nicht viel los, also entschloss ich mich, durch unsere Nachbarschaft in Jaipur zu schlendern. Nach ein paar Metern stieß ich auf eine kleine Szene: Kinder spielten an einer Hausecke. Sobald ich mich näherte, kamen sie sofort auf mich zu. Wir winkten uns zu, lächelten – ohne ein einziges Wort zu verstehen. Doch das machte nichts. Das Eis war gebrochen. Ich schaltete meine Kamera ein und fragte mit einer Geste, ob ich sie fotografieren dürfe. Sie lachten, und nachdem ich den Auslöser gedrückt hatte, wollten sie unbedingt das Bild sehen.
Als sie sich auf dem kleinen Display entdeckten, brachen sie in Gelächter aus. Ich verabschiedete mich kurz und setzte mich ein paar Meter weiter auf eine Treppe. Neugierig, aber mit etwas Abstand, folgten sie mir mit den Augen, während ich meinen Rucksack öffnete und ein kleines schwarzes Gerät herausholte.
Ich schaltete den Drucker an und druckte das Foto für jedes Kind aus. Gebannt verfolgten sie, wie das Gerät das Bild mehrmals ein- und auszog, bis nach einer Minute das erste Foto fertig war.
Der schönste Moment ist immer der, wenn die Kinder ihr Bild in den Händen halten. Die Augen werden groß, die Münder öffnen sich zu einem breiten Grinsen. Anfangs wird um das erste Foto gestritten – bis klar wird, dass jedes Kind ein eigenes bekommen wird. Dann warten sie geduldig und voller Vorfreude.
Nach und nach wuchs die Traube, nun nicht mehr nur aus Kindern, sondern auch aus Erwachsenen. Für einen Moment befürchtete ich das Schlimmste: dass es zu Gerangel kommt, mir der Drucker aus den Händen gerissen oder mein Smartphone zu Boden fällt.
Doch nichts davon geschah. Im Gegenteil: Die Erwachsenen hielten die Kinder zurück, die Kinder hörten auf die Erwachsenen – und ich konnte in Ruhe weiterdrucken. Ich hatte keinerlei Sorge, dass mir etwas gestohlen werden könnte, während ich fotografierte. Stattdessen lag eine wunderschöne Stimmung in der Luft. Ich fühlte mich einfach wohl. Für diesen kurzen Moment gehörte ich zu ihrer Nachbarschaft – fast wie eine langjährige Nachbarin.






Nachdem ich allen Kindern ein Porträt gemacht und ausgedruckt hatte, kamen nach und nach auch die Erwachsenen auf mich zu und fragten, ob ich sie fotografieren könne. Natürlich kam ich ihrem Wunsch nach – und so begann die zweite Runde. Mein kleiner Kodak-Drucker lief heiß, und die Kartuschen gingen langsam zur Neige. Zum Glück reichte es noch, um jedem Erwachsenen ein Porträt zu schenken.
Spätestens jetzt galt ich – zumindest für diesen Tag – als der Fotograf von Jaipur.
Nach etwa einer Stunde verabschiedeten wir uns herzlich, und ich setzte meinen Spaziergang fort, weiter durch die kleinen Nebenstraßen ins nächste Stadtviertel.
In Jaipur funktioniert der Buschfunk hervorragend
Auf den ersten Metern begleiteten mich noch die Kinder, die ich zuvor fotografiert hatte. Schon bald war ich jedoch wieder allein unterwegs. Doch die Einsamkeit währte nicht lange. Irgendwie muss es sich herumgesprochen haben, dass ich Menschen fotografiere und ihnen die Bilder sogar ausdrucke.
In einem mir völlig neuen Viertel sprachen mich plötzlich Kinder an, ob ich sie fotografieren könne – obwohl sie mich gar nicht zuvor beim Fotografieren gesehen hatten.
Also begann ich meine zweite, vielleicht schon dritte kleine Fotosession. Doch diesmal ging mir das Fotopapier langsam aus. Obwohl ich einiges an Vorrat im Rucksack hatte, neigte sich mein Stapel dem Ende zu.
Trotzdem war die Freude groß: Auch ohne Ausdruck hatten die Kinder sichtlich Spaß daran, sich auf dem kleinen Display meiner Kamera zu sehen.



Beschenkt mit Lächeln und Tee durch Street-Photography
Ich schlenderte weiter durch die Straßen und ließ meinen Blick über die vielen kleinen Szenerien wandern, die sich mir eröffneten.
In einem kleinen Geschäft wurde Tee und Kaffee verkauft. Der Besitzer unterhielt sich lebhaft mit seinen Gästen und kassierte ab, während sein Angestellter die Getränke zubereitete und einschenkte. Es war ein wunderschöner Anblick: Menschen saßen in dieser schlichten Hütte, redeten, diskutierten und lebten ihr Leben. Andere blieben draußen vor dem Café stehen, lauschten den Gesprächen – und bestellten sich dann ebenfalls einen Tee. Es war faszinierend, dieses indische Alltagsleben zu beobachten und sich Stück für Stück als Teil davon zu fühlen.
Schließlich nahm ich mir ein Herz und fragte den charismatischen Ladenbesitzer, ob ich ihn fotografieren dürfe. Er lächelte, stimmte sofort zu – und freute sich riesig, als ich ihm das Foto direkt ausdruckte und schenkte. Für genau solche Momente hatte ich drei Fotopapiere zurückgehalten. Dasselbe wiederholte ich mit seinem Angestellten, der sein Porträt mit sichtlicher Freude entgegennahm.
So kam es, dass ich mich noch eine Weile mit dem Besitzer unterhielt, einen indischen Tee in der Hand, den ich vorsichtig schlürfte, um mir nicht die Zunge zu verbrennen. Nach dieser wunderschönen Begegnung – und seiner herzlichen Bitte, ich möge mir nicht den Magen verderben – setzte ich meinen Weg fort.




Der kleinste und gleichzeitig wohl bestsortierteste Schreibwarenladen in ganz Indien
Auf meinem Rückweg zum Homestay wurde ich Zeuge einer ganz besonderen Szene. Ein Mann lehnte in einem Fensterrahmen. Je näher ich kam, desto besser erkannte ich, dass es sich nicht um ein gewöhnliches Fenster handelte, sondern um den Eingang zu einem kleinen Laden.
Drinnen gab es alles, was das Herz eines Schreibwarenhändlers – und seiner Kunden – höherschlagen lässt: Quittungsblöcke, Hefte, Stifte in allen Varianten. Auf den ersten Blick wirkte der Shop völlig chaotisch. Doch als der Besitzer nach der gewünschten Ware eines Kunden suchte und sie innerhalb weniger Sekunden aus dem bunten Durcheinander zog, wurde mir klar: Hier herrschte kein Durcheinander, sondern ein perfekt sortiertes Chaos – und der Lagerplan existierte ausschließlich in seinem Kopf.
Eine Weile stand ich da und beobachtete, wie er seine Kundschaft freundlich bediente. Später bat ich auch ihn um ein Foto, das ich ihm anschließend ausdruckte und schenkte. Mit einem Lächeln und der typischen indischen Dankesgeste verabschiedeten wir uns – beide dankbar für diese kurze, aber schöne Begegnung.



Kaum drehte ich mich um, eröffnete sich schon die nächste Szene, über die ich noch viele Zeilen schreiben könnte: Ein Tuktuk-Fahrer beendete seine Fahrt, nahm die Bezahlung entgegen und blickte erschöpft in den Sonnenuntergang, der das nahende Ende des Tages ankündigte.
Natürlich zückte ich auch hier meine Kamera und hielt diesen winzigen – für mich aber unvergesslichen – Moment fest. Dieses Foto behielt ich jedoch für mich. Mein Drucker war endgültig leer, und so konnte ich ihm kein Bild schenken.
Die letzten Meter meines Heimweges genoss ich still. In Gedanken ging ich all die Begegnungen dieses Tages noch einmal durch. Schon bald würde ich am Esstisch von all diesen Erlebnissen erzählen und sie mit den anderen Reisenden teilen.
Danke, Indien. Danke, Jaipur!
Eine wirklich tolle Reportage hast du da geschossen. Die Idee, mit dem Fotodrucker vor Ort die Bilder direkt zu verschenken ist großartig. So haben beide Seite etwas davon. Du bekommst die passenden Motive und die „Motive“ das gedruckte Bild ihrer selbst. Find ich super 🙂
Danke Indien, danke Jaipur, danke Futzipelz 🙂
Hallo Thomas, habe vielen Dank für dein wertschätzendes Kommentar. Tatsächlich war die Indienreise bis dahin recht schwierig. Ich habe einfach kein Gefühl für die Menschen bekommen. Ab dem total überraschenden und schönen Nachmittag in Jaipur, hat sich das jedoch geändert.
Zum Thema Fotodrucker: Der Drucker von Kodak macht eine sehr gute Arbeit. Vorher hatte ich einen günstigeren Drucker. Er war okay, aber die Qualität der Abzüge von Kodak ist für mich unschlagbar.
Beste Grüße
Futzipelz
[…] ich mit meiner Kamera in Indien einige gute Fotos. Sie ließ mich nicht im Stich. Gerade bei der Streetphotography fällt man mit solch einer kleinen Kompaktkamera in keiner Weiße auf und wird zusätzlich nicht als Fotograf wahrgenommen. Das eröffnet natürlich ganz andere […]