Als wir nach einem anstrengenden Sightseeing-Tag in Hanoi in einem leckeren Pho Restaurant saßen und auf die hausgemachte vegetarische Nudelsuppe warteten. Genossen wir den Trubel in der Altstadt, die Geräusche der knatternden Moto-Roller, die fremdklingende Sprache der Menschen und schmökerten nebenbei in einem Reiseführer.
In einem kurzen Absatz las ich von einem Schlangendorf mitten in Hanoi. Das klang spannend – obwohl ich wirklich Angst vor Schlangen habe. Nach einer kurzen Recherche und einem Check auf der Karte, ging es am nächsten Tag unserer Reise in das Schlangendorf Le Mat mitten in Hanoi.
Rucksacksprint, nepalesische Bergschlangen und die größte Schlange in meinem Leben
Wer mich kennt, weiß, dass ich einen recht ernsten Respekt vor Schlangen habe. Zum Beispiel bin ich während einer Trekkingtour mit einem ca. 18 kg schweren Rucksack für 50 Meter bergauf gerannt, nur um möglichst schnell genügend Abstand zwischen die auf dem Weg liegende Schlange und mich zu bekommen.
Auch in Nepal bin ich mehrere Felsstufen mit Rucksack in Rekordzeit gerannt, als ich gemerkt hatte, dass ich auf eine Schlange getreten bin. Zum Glück ist nichts passiert … Aber allein die Vorstellung auf eine Schlange zu treffen, lässt mir vor Angst die Nackenhaare aufstellen.
Meine Nackenhaare stellten sich vor zirka 20 Jahren ebenfalls auf, als im Familienurlaub auf einer griechischen Insel zum Brot holen geschickt wurde und auf eine Schlange traf. Dabei musste ich eine kleine Straße an der Küsten entlang laufen. Diese Straße schlängelte sich durch ein Schilfgebiet und mitten auf der Straße lag die wohl größte Schlange, die ich in freier Wildbahn gesehen habe.
Sie war träge. Ich war jung und schnell, also ging es im Sprint mit maximalen Abstand an der Schlange vorbei. Während des Einkaufens ging mir die Schlange nicht aus dem Kopf. Es war die einzige Straße, welche zum Hotel führt. Der Weg direkt an der Küste war ebenso keine Option. Maximal hätte ich zurück schwimmen können.
Wie unschwer zu erkennen ist, habe ich Angst vor Schlangen. Und bevor ich noch weiter aushole und von meinem Gedanken erzähle, dass ich mich schon fast einer griechischen Familie angeschlossen hätte und sie fragen wollte, ob ich bei ihr leben könnte – nur um auf dem Rückweg zurück in das Hotel nicht der Schlange vorbeikommen zu müssen …
Konfrontationstherapie im vietnamesischen Schlangendorf Le Mat
Wenden wir uns wieder dem Jahr 2022 zu und reisen gedanklich zurück nach Vietnam, nach Hanoi, in das Schlangendorf Le Mat.
Mich hat das Handwerk der Schlangenhaltung sowie der Herstellung von alkoholischen Getränken, Gerichten aus Schlangenfleisch oder dem anmischen von verschiedenen Tinkturen aus dem Gift der Schlangen sehr interessiert.
Dabei ist mir überaus bewusst, dass diese Tiere nicht artgerecht gehalten werden. Letztlich ist es eine ähnliche Thematik wie mit den Schlangenbeschwörern in Marrakesch. Hier treffen Tourismus, Geld verdienen, Tradition und eine nicht artgerechte Tierhaltung aufeinander und stehen im Verhältnis zum Broterwerb der Tierhalter. Es ist schwer mit unserer westlichen Brille auf der Nase, sich darüber ein Urteil zu erlauben bzw. eine Lösung zu finden.
Nichtsdestotrotz haben wir uns ein Grab (vergleichbar mit dem Fahrdienst Uber) geschnappt und uns nach Le Mat fahren lassen.
Schon bald sahen wir die ersten die ersten Schilder von Restaurants oder Medizinern, die ihre Produkte aus der Zucht von gefährlichen Reptilien bewerben.
Recht scheu sind die wir durch die leeren Straßen gelaufen und haben in die ein anderen Höfe hingeschaut. Es war ein Mix aus „Nur nicht auf eine Schlange treten“ und „Wir brauchen den Thrill und wollen die Kobras sehen“. Letztlich ist es in Le Mat natürlich überaus ungefährlich, durch die Straßen zu schlendern. Schließlich bewegen sich die Schlangen nicht in freier Wildbahn. Dennoch ist es ein komisches Gefühl, zu wissen, dass einige der giftigsten Schlangen, die unser Planet beherbergt, sich nur wenige Meter von uns entfernt befinden.
Als wir uns schon wieder einige Meter von einem Schlangenhof entfernten, rief uns ein älterer Mann zurück und fragte, ob wir uns seine Schlangen ansehen wollen.
Vorerst war ich skeptisch, aber dann war mir der ältere Herr in Jogginghosen doch irgendwie sympathisch und wir ließen uns auf einen Besuch ein.
Da ist sie … Phuc Minhs Kobra
Mit großen Respekt und ebenso großem Abstand unterhielten wir uns mit dem Schlangenbesitzer und seiner Familie. Im Hof ließen sich die kleinen Fächer erkennen, in welchem die Schlangen ihr Dasein fristeten. Ich bekundete ihm ganz ehrlich unsere Ängste und dass wir das Spektakel gern mit genügend Abstand betrachten wollten.
Ihm war das recht und er versicherte uns, dass er sein Handwerk beherrschte. Schließlich hat er es von seinem Großvater und seinem Vater gelernt. Er übt es schon seit mehreren Jahrzehnten aus und wies uns darauf hin, dass er schließlich immer noch lebte.
Auf gebrochenen Englisch erklärte er uns, dass die Schlangen in kleinen, dunklen Fächern gehalten werden. Sobald die Schlange aus einem Fach genommen wird, ist sie für mehrere Minuten verunsichert und sehr scheu. Ihre Augen müssen sich erst an das helle Licht gewöhnen. In dieser Zeit ist sie nicht angriffslustig und er kann mit der Schlange arbeiten. Er muss lediglich darauf aufpassen, dass er der Schlange nicht zu nahe kommt und dann geht fast keine Gefahr von ihr aus.
Trotz der interessanten Informationen hielten wir uns im Hintergrund auf. Mein Gedanke war, sollte die Schlange Lust bekommen, einen Menschen zu beißen und ihr Gift in die Blutlaufbahn zu drücken, dann wollten wir das ungern sein 🙂 Quatsch bei Seite, der Schlangenbesitzer hatte einen sehr routinierten Umgang mit der Schlange und servierte uns auch keine Mutprobe – á la „Fast doch einmal die Schlange an!“.
Der Zufall zeigte uns den richtigen Menschen. Es war faszinierend, solch ein großes und wissentlich gefährlich Tier beobachten zu können. Gleichzeit genossen wir es, eine faszinierende Familie kennenzulernen, für welche es zum alltäglichen Leben gehört, mit solchen Tieren auf einem Hof zu leben.
Mein Herz schlug, Adrenalin wurde im Gießkannenprinzip ausgeschüttet und irgendwie versuchte ich noch ein paar tolle Aufnahmen von dieser Begegnung auf die Speicherkarte meiner Kamera zu bekommen.
Deutlich ruhiger schlug mein Herz, als Phuc Minh mit großer Konzentration die Kobra zurück in ihr Fach legte. Natürlich blieb der bittere Beigeschmack über die Haltung dieser Schlangen.
Als er den Riegel vor das Türchen des Faches schob, lachte er und fragte uns stolz, ob uns seine Schlange gefallen habe. Nun haben wir noch nicht so viele vergleiche Tiere gesehen, aber wir lobten sein Tier und seinen sicheren Umgang mit der Kobra.
Ein Foto mit der guten Hose
Zum Abschluss bot er uns noch einen Schlangenschnaps an, den wir leider dankend und wertschätzend ablehnten. Er erzählte uns über die Geschichte seines Geschäftes und zeigte uns stolz sein Gästebuch, in welchem sich unzählige Menschen aus nahezu allen Ländern der Welt eingeschrieben haben.
Der krönende Abschluss war ein gemeinsames Bild mit seiner Familie. Dafür zog er sich extra noch eine gute Hose an und nahm uns danach stolz in den Arm.
Rückblickend sind es diese Begegnungen mit Menschen, die das Reisen für mich so wertvoll machen. Anfangs dachte ich, dass Phuc Minh zeigt uns kurz die Schlange und zwei Minuten später möchte er uns das Geld aus den Taschen ziehen. Aber so kam es nicht. Phuc Minh war sehr uns interessiert und gab uns einen unvergesslichen Einblick in sein alltägliches Leben.
Trotz meiner Schlangenangst hat sich der Weg in das Schlangendorf Le Met (wie immer) gelohnt. Und nein, ich bin von meiner Schlangenangst unter keinen Umständen geheilt. Ich möchte diesen Tieren immer noch nicht in freier Natur begegnen. Desto besser ist es jedoch, dass es andere Menschen auf der Welt gibt, die mit diesen Tieren umgehen können.