
Auf verschiedenen Reiseblogs hatte ich gelesen, dass es in der Nähe von Siem Reap schwimmende Dörfer gibt. Nach kurzer Recherche entschieden wir uns für Kampong Phluk am Tonle-Sap-See. Dieser See ist das größte stehende Gewässer in ganz Südostasien. Wenn man am Ufer steht, hat man eher das Gefühl, an einer Meeresküste zu stehen – so unbeschreiblich ist seine Weite.
Der Pegel des Sees schwankt im Jahresverlauf stark. In der Regenzeit steigt er enorm an, da unzählige Flüsse in den See münden. Dann tritt der Tonle Sap großflächig über die Ufer und überflutet die umliegenden Dörfer vollständig.
Die Bewohner haben sich perfekt an diese Gegebenheiten angepasst: Ihre Häuser stehen auf hohen Stelzen, und auch Gebäude der Infrastruktur – wie Shops, Arztpraxen oder Schulen – sind während der Regenzeit bequem per Boot erreichbar.
Natürlich wollten wir uns dieses Spektakel ansehen. Allerdings hatten wir bei der Planung nicht bedacht, dass wir uns am Ende der Trockenzeit in Kambodscha aufhielten. Umso gespannter waren wir, wie solch ein schwimmendes Dorf in dieser Jahreszeit aussehen würde.
Wie so oft: Der Weg ist das Ziel.
Nach ein wenig Recherche stieß ich auf aktuelle Bilder anderer Reisender. Darauf war klar zu erkennen, dass es in Kampong Phluk während der Trockenzeit sehr trocken ist – von einem „schwimmenden Dorf“ konnte kaum noch die Rede sein.
Wie auch immer, und wie so oft: Der Weg ist das Ziel. Also freuten wir uns trotzdem auf unsere kleine Landpartie nach Kampong Phluk. Wir verließen Siem Reap mit unserem Motorroller und vertrauten der Navigations-App, die uns den Weg weisen sollte.
Die Fahrzeit beträgt rund eine Stunde. Da wir unterwegs ein paar Mal anhielten, Fotos machten und die Landschaft genossen, brauchten wir etwa 90 Minuten.
Der erste Teil der Strecke führt über den Highway 6. Trotz des erhöhten Verkehrs lässt es sich auch hier entspannt mit dem Roller fahren. Nach etwa der Hälfte der Strecke bogen wir rechts ab und gelangten auf eine Gravelroad.
Dieser Abschnitt war wunderschön. Der Weg führte durch verschiedene Dörfer, mitten hinein ins alltägliche Leben der Menschen, die hier wohnen. Besonders in der Nebensaison herrschte hier eine angenehme Ruhe – es war kaum etwas los.


Der Grat zwischen guter Tat und Scam ist schmal
Etwa auf halber Strecke der Gravelroad zum See stießen wir auf einen Checkpoint – von dem wir schon während unserer Vorbereitung gelesen hatten.
Hier zahlt man quasi den „Eintritt“ ins Dorf. Im Internet hatte ich gelesen, dass ein Teil dieses Geldes angeblich den Erhalt der Dörfer unterstützt und den Bewohnern zugutekommt. Ein paar Zeilen später jedoch hieß es, der Anteil sei verschwindend gering und der Großteil des Geldes versickere irgendwo im Nirgendwo.
Der Checkpoint wirkte entsprechend etwas dubios. Wir zahlten 20 Dollar pro Person und bekamen eine Art Eskorte zugeteilt: Ein Mann auf einem Motorroller raste vor uns her und begleitete uns ins Dorf. Manchmal verloren wir ihn aus den Augen, doch sobald er es bemerkte, wartete er auf uns – um uns schließlich ordnungsgemäß am Bootsanleger abzugeben.



Von Männern, die ihr Leben lebten und mit dem Boot fuhren
Am Bootsanleger angekommen, störten wir eine Gruppe Männer dabei, einfach ihr Leben zu leben. Einige saßen auf Stühlen, andere lagen entspannt in Hängematten, unterhielten sich, schraubten an Mopeds oder hielten ein Nickerchen. Mit eher überschaubarer Motivation bemühten sich schließlich ein paar von ihnen, für uns einen Bootsfahrer zu organisieren.
Nachdem dieser gefunden war, machten wir uns auf die Suche nach seinem Boot. Da der Fluss zu dieser Zeit nur wenig Wasser führte, mussten wir mehrere Höhenmeter hinabsteigen. Nach ein paar Minuten Fußweg entdeckten wir schließlich das Boot – doch beim Starten tat sich nichts. Der Motor blieb stumm.
Unser Bootsfahrer verabschiedete sich kurz und kam wenig später mit einem weiteren Mann zurück. Dieser junge Kerl entpuppte sich als Mechaniker. Er kletterte in den kleinen Motorraum und begann zu werkeln. Nach einigen Minuten des Bangens sprang der Motor tatsächlich an – und wir fuhren den Fluss entlang in Richtung See.
Am Ufer standen Menschen, die mit Reusen Fische fingen. Die Mangrovenwälder ringsum waren in der Trockenzeit ausgedörrt und wirkten eher wie normale Wälder.
Nach rund fünf Minuten Fahrt öffnete sich vor uns der riesige Tonle-Sap-See. Der Wellengang nahm leicht zu, und wir bekamen einen ersten Eindruck von seiner schier endlosen Größe. Er war unbeschreiblich weit.






Die Bootsfahrt war ihr Geld nicht wert. Schon nach fünf Minuten erreichten wir das erste schwimmende Haus – und mussten aussteigen, um im besten Fall etwas zu konsumieren.
Uns wurde regelrecht (und recht aufdringlich) nahegelegt, Souvenirs zu kaufen, etwas zu trinken oder ein kleines Gericht zu bestellen. Mein Anstand gebot mir zumindest eine Coke zu nehmen. Gedacht, getan. Mit der Flasche in der Hand schlenderten wir durch das schwimmende Restaurant und staunten über die teils kuriosen Dinge, die man hier entdecken konnte.
So gab es zahlreiche Souvenirs, die man mit Sicherheit nicht legal aus dem Land hätte ausführen dürfen: Geldbörsen, Handtaschen oder gar ausgestopfte Krokodile – alles Produkte, für die Krokodile sterben mussten.
Im „Keller“ des Hauses wurden außerdem lebendige Krokodile gehalten. Der Bereich war in zwei Gehege unterteilt, um die jüngeren Tiere von den älteren zu trennen.
Einerseits war ich fasziniert – schließlich sah ich hier zum ersten Mal in meinem Leben lebendige Krokodile aus nächster Nähe. Andererseits war mir dieser Ort sehr suspekt. Für die Betreiber waren die Tiere schlicht Nutztiere, die unter widrigsten Bedingungen gehalten wurden, um den Touristen mehrfach Geld aus der Tasche zu ziehen: Man konnte die Krokodile für 5 Dollar füttern lassen, Gerichte aus ihrem Fleisch bestellen oder passende Souvenirs erwerben. Es war ihr Geschäft, ihr Lebensunterhalt – ein verrückter Ort.
Aber ist das verwerflich? Unter keinen Umständen mehr, als wie wir in unseren Ländern mit Nutz- und Haustieren umgehen, wie wir Kleidung unter fragwürdigen Bedingungen in Fernost produzieren lassen oder wie wir selbst nach Kambodscha reisen und damit unseren Planeten belasten.
Für die Menschen auf dem See ist dies schlicht eine Möglichkeit, mit den vorhandenen Mitteln ihren Lebensunterhalt zu sichern.
Eine abschließende Bitte an die Betreiber des schwimmenden Erlebnis-Restaurants hätte ich jedoch: Passt bitte auf, dass keines der Krokodile aus diesem Keller entkommt. 🙂







Mit dem Fotodrucker gegen die Stifte-Verkäuferinnen gewonnen
Nach unserem kleinen Ausflug, der kaum eine Dauer von einer Stunde hatte, standen wir wieder am Bootsanleger. Wir besuchten lediglich dieses eine schwimmende Haus und fuhren den gleichen Weg zurück zum Bootsanleger. Mit viel Enttäuschung im Gepäck fiel mir eine freundliche Verabschiedung unseres Bootsfahrers schwer.
Aber er kann sicherlich am wenigsten dafür, schließlich macht er nur seinen Job. Von daher durfte er sich trotz dessen über ein kleines Trinkgeld freuen.
Noch wussten wir nicht, welches tolle Erlebnis auf dem Platz vor der Schule des Dorfes auf uns wartet.
Wir fuhren vom Bootsanleger zurück in das Dorf. Dieses Mal glücklicherweise ohne Eskorte. Im Dorf selbst, hielten wir an dem großen Platz vor der Schule an. Kaum stiegen wir von unserem Moped ab, kamen schon die ersten Verkäuferinnen auf uns zu gerannt, um uns Stifte und Hefte verkaufen zu wollen.
Wir lasen in der Vorbereitung des Ausflugs von dieser Masche. Die Verkäuferinnen verkaufen an die Touristen Schulsachen. Danach werden die Touristen gebeten, diese Schulsachen in der Schule abzugeben und den Kindern damit eine Freude zu bereiten. Einige der Schulsachen werden danach wieder zurück an die Verkäuferinnen gegeben. Somit können sie die Stifte und Hefte quasi mehrmals an Touristen verkaufen, bevor sie tatsächlich genutzt werden.
An sich ist das eine ganz clevere Masche – aus Sicht der Umsatzsteigerung. Ist ihnen das zu verübeln? Meiner Meinung nach nicht wirklich. Klar wäre es moralisch vorbildlicher, die Gegenstände nur einmal zu verkaufen. Aber wie sollen sie denn sonst ihr Geld verdienen? Auch hier ist meiner Meinung nach der Grat zwischen guter Tat und Scam sehr schmal.
Nach mehrmaligen und beherztem Nein-Sagen, ließen die Verkäuferinnen vorerst von uns ab. Wir konnten uns den Dorf-Tempel ansehen und liefen wieder zurück zur Schule.
Als wir wieder an der Schule ankamen, wurden wir wieder von den gleichen Verkäuferinnen angesprochen und nahezu bedrängt, ihnen etwas abzukaufen. Dieses Mal stellte ich ihnen eine Gegenfrage, ob ich sie fotografieren dürfte. Sie bejahten meine Frage.
Ich zeigte ihnen das Bild auf dem Display meiner Kamera. Sie lachten und sagten, dass es ihnen gefiel. Wenige Minuten später, schenkte ich ihnen den Ausdruck ihres Portraits. Natürlich konnte ich es mir nicht verkneifen, sie ein wenig auf den Arm zu nehmen. Bevor ich der ersten Verkäuferin das Bild schenkte, zeigte ich ihr lediglich den Ausdruck und sagte zu ihr: „For you just $1.“
Wir lachten gemeinsam. Natürlich wollte ich kein Geld von ihnen und schenkte ihnen die Abzüge. Stolz hielt sie den Ausdruck in ihren Händen und betrachtete das Bild. Das Eis war gebrochen.
Kurz darauf eröffneten wir vor der Schule das Fotostudio und fotografierten die restlichen Verkäuferinnen. Sie wichen keinen Moment mehr von unserer Seite. Wir unterhielten uns sehr nett.
Sie erzählten uns jede Menge von ihrem Leben in ihrem Dorf und wollten auch Einiges über unser Leben in Deutschland wissen. Auf einmal waren wir beinahe Freunde und sie wollten kein Geld mehr mit uns verdienen.
Es war wunderschön. Im nächsten Moment entschuldigten sich die Frauen, sie müssten kurz arbeiten. Am Horizont sahen sie einen kleinen Van. Dieser Van würde neue Touristen bringen. Das Geschäft in der Trockenzeit lief nicht wirklich gut, dadurch müssten sie leider jede Chance nutzen, um Geld zu verdienen.
Sie rannten auf den Van zu und kaum war die Tür des Vans offen, begannen die Verkaufsgespräche. Wir beobachteten diese Situation, wie unsere neuen Freunde versuchten, die Touristen abzuziehen. Wir waren glücklich, als wir sahen, dass ihnen ein paar Stifte und Hefte abgekauft wurden.
Glücklich und mit lachenden Gesichtern kamen sie wieder zu uns zurück. Mittlerweile hat es sich im Dorf herumgesprochen, dass wir ausgedruckte Fotos verschenken. Natürlich haben die Frauen ihren Freundinnen und Freunden Bescheid gegeben. Uns machte es Spaß, mit den Menschen in Kontakt zu treten und ihnen eine kleine Freude bereiten zu können. Mittlerweile hatten wir sogar eine Assistentin, sie organisierte alles und wich uns nicht von der Seite. Das Mädchen hatte leider keine Chance die Schule weiter zu besuchen, sie musste arbeiten und Geld für ihre Familie verdienen.





Keine Reise ohne einen Schulbesuch
Nach dem wir alle Erwachsenen abgelichtet hatten, klingelte es zur Pause und die Kinder stürmten aus ihren Klassenzimmern auf die Straße.
Anfangs verhielten sie sich uns gegenüber noch distanziert. Später wurde klar, dass sie ebenfalls ein Foto von sich und ihren Freunden bzw. Freundinnen haben wollten. Natürlich fotografierten wir sie gern.
Es war sehr interessant zu sehen, wie die Kinder ihre Pause verbrachten. Sie spielten Fang-Spiele, unterhielten sich, aßen und lachten gemeinsam. Alles verlief so, wie es wahrscheinlich an den meisten Schulen auf diesem Planeten verläuft.
Später begann der Unterricht und ich hatte Zeit, die Fotos auszudrucken. Als ich die Fotos in die Schule bringen wollte, stellte ich fest, dass es nur eine Lehrerin für 3 Klassenzimmer gab. Ich gab die ausgedruckten Bilder ab und wir verabschiedeten uns von den Kindern.








Mit unvergesslichen Erinnerungen ging es über die staubige Piste zurück nach Siem Reap
Mit einem wunderbaren Gefühl verließen wir das kleine Dorf Kampong Phluk am Tonle Sap See in Kambodscha. Wir haben viele nette Menschen kennengelernt, die uns zumindest für diesen Tag in ihr Herz geschlossen haben. Ich bin mir sicher, dass sie am Abend noch einmal über uns gesprochen haben. Wir haben am Abend ebenfalls noch einmal den Tag Revue passieren lassen und uns über die Menschen aus dem Dorf unterhalten. Uns werden diese Begegnungen hoffentlich ein Leben lang in Erinnerung bleiben.
Mir zeigte es wieder einmal, welche Macht Fotos haben. Das Eis war sofort gebrochen, als wir die Fotos an die Menschen verschenkten. Danach wurden wir ganz anders wahrgenommen. Wir waren in ihren Augen keine Touristen mehr, sondern viel mehr Menschen, mit denen man ein paar Minuten oder Stunden verbringen. Es ist einfach wunderbar, von diesen Menschen als Mitmensch wahrgenommen zu werden.
Auf dem Rückweg nach Sieam Reap hielten wir noch an der ein oder anderen Siedlung an. Selbst mehrere Kilometer vom Seeufer entfernt stehen die Häuser immer noch auf Stelzen. Dadurch wird bewusst, wie viel Wasser es in dieser Region während der Regenzeit geben muss. Es muss gewaltig sein, dieses Dorf mit diesen Wassermassen sehen zu können.
Gleichzeit bemerkten wir jedoch auch, dass während der Regenzeit das Dorf voll mit Touristen sein muss. Am Bootsanleger lagen unzählige Boote, die nur darauf warteten, die Touristen auf den See zufahren. Ich bin mir sicher, dass zur Hauptsaison ebenfalls deutlich mehr schwimmende Häuser auf dem Tonle See schwimmen, um den Besuchern Restaurants etc. anzubieten.





Von daher waren wir rückblickend doch sehr froh, dass wir über staubige Pisten zu dem schwimmenden Dorf in der Trockenzeit gefahren sind. Das schwimmende Dorf ähnelte viel mehr einem Ort, welcher in einer trockenen Steppe liegt – als an ein überflutetes Dorf. Dadurch waren wir an diesem Tag nahezu die einzigen Touristen, welche dem Dorf einen Besuch abstatteten.
Ich denke, in der Hauptsaison hätten wir diese schönen und einprägsamen Begegnungen wohl kaum erleben können. Von daher hat sich der Weg – nicht nur wegen der leckeren Snacks am Wegesrand – gelohnt.
Dankeschön, Kampong Phluk!