Sich in einer Stadt oder in einem Land auf Pfade zu begeben, die zu touristischen Attraktionen führen, macht durchaus Sinn. Es wäre Schade, wenn man Paris verlässt, ohne den Eiffelturm gesehen zu haben; wenn man aus Kairo abreist, ohne einen Blick auf die Pyramiden von Gizeh geworfen zu haben oder wenn man Indien den Rücken zukehrt ohne, dass man den Anblick des Taj Mahals genossen hätte. Dies sind schließlich kulturelle Sehenswürdigkeiten, auf die wir Menschen doch irgendwie auch stolz seien können und die man schon einmal besuchen kann. Diese Plätze, wie Machu Picchu oder die Altstadt von Jerusalem, sind Geschichte zum „anfassen“.
Mindestens genauso reizvoll finde ich es jedoch, sich in den verschiedensten Ländern unserer wunderschönen Welt das Leben der Menschen anzusehen und zu beobachten, wie die Menschen ihren Alltag verbringen. Zu versuchen, das Große im ganz Kleinen zu suchen.
Vom must-do Großen in das wunderschöne Kleine
Als ich an einem verregneten Herbsttag in irgendeinem meiner zahlreichen Reiseberichte las, stolperte ich über besonders interessante Zeilen. In diesem Abschnitt beschrieb der Autor einen durchlebten Veränderungsprozess in seiner Art des Reisen. Anfangs war er noch verrückt darauf, so viel wie mögliche Bucket-List-Locations abzuhaken. Nun kommt der Interessante Punkt: Je mehr er reiste, desto mehr interessierte ihn das wirkliche Leben der Menschen.
Wie viel des ‚Le savoir-vivre‘ kann man am direkt am Eiffelturm beobachten? Wahrscheinlich sehr wenig. Auf jeden Fall deutlich weniger, als wenn man in einer der zahlreichen Pariser Stadtviertel unterwegs ist, in welchen die Menschen ihren Alltag verbringen.
Als ich diese Zeilen mit einem warmen Tee auf der Couch gelesen hatte, fiel mir auf, dass dieser Wandel auch bei mir stattgefunden hat.
Klar, sollte man die französischer Landeshauptstadt besuchen, lässt man den Eiffelturm (um bei diesem Beispiel zu bleiben) nicht unbesucht in Paris stehen. Aber diese Attraktion hat vielleicht nicht mehr ganz den Stellenwert, wie er es früher einmal hatte.
Ich habe an mir beobachtet, dass mir der Eiffelturm gar nicht mehr so wichtig ist. Viel liebe steige ich sofort in die kleinen Gassen ab und versuche mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Auf manchen Reisen denke ich mir sogar, warum solle ich mir diesen Platz mit unzähligen Touristen teilen? Schließlich gibt es schon genug Fotos von dieser Attraktion.
Stattdessen reizt es mich viel mehr, das wunderschöne und einzigartige im Kleinen zu entdecken. Die Menschen in ihrem Alltag zu beobachten und für einen kurzen Moment Teil ihres Lebens zu werden, wenn ich mit ihnen in Kontakt komme.
Unterwegs in den kleinen Straßen von Delhi
Meisten muss man gar nicht weit laufen, wenn man einen kleinen und punktuellen Einblick in das Leben der Menschen bekommen möchte. Es reicht oft aus, einfach zwei, drei Straßen entgegen des Touristenstroms zu laufen und danach ein bis zwei geschickt abzubiegen. Schon ist man mitten im Leben.
In Delhi geht das noch schneller. Ein wirkliches Zentrum haben wir nicht gefunden und von daher waren wir eigentlich schon mitten im Leben von Delhi. Links und rechts von uns wurde Essen gekauft, wurden die verschiedensten Gegenstände repariert und überhaupt wurde auf den Straßen viel diskutiert.
Je weiter wir uns von unserem Hotel entfernten, desto enger wurden die Straßen. Es mehrten sich die Shops, in den man die Dinge für den alltäglichen Bedarf kaufen konnte. Die Menschen schauten uns immer interessierter an. Der Verkehr wurde quirliger und auf einmal waren wir wirklich mitten im indischen Leben.
Mein Blick schweifte im staunenden Gehen über die Straßen zu den Häuserfassaden und blieb an verschiedensten Street-Food-Wagen hängen. Teils wurde auf den Straßen tätowiert. Hier und da suchte eine Kuh im Müll von Delhi nach etwas Nahrhaftem und überall sah ich dieses strukturierte, laute und faszinierende Durcheinander.
Ich drängelnde mich an verschiedenste Orte, um das Leben mit meiner Kamera einzufangen. Von Zeit zu Zeit wird man dabei fragend angesehen. In den meisten Fällen freuen sich die Menschen jedoch, dass man in ihrem Viertel ist und sich dafür interessiert. Hier hilft natürlich immer ein Lachen – besonders dann, wenn man die Sprache nicht einmal im Ansatz versteht.
Auf einmal wurden wir auf Englisch angesprochen. Später stellte sich dieser nette Mann mit dem Namen Bodhi vor und lud uns auf ein paar Gebäckstücke ein. Er erklärte uns, dass dies der beste Laden weit und breit ist, in welchem man eine große Auswahl an verschiedensten Gepäckstücken kaufen kann. Auf die Frage, wo wir bezahlen könnten, verneinte er herzlich und zahlte für uns. Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile miteinander. Natürlich sprachen wir hauptsächlich über unsere Leben: über unseren Alltag, er fragte uns natürlich, warum wir uns sein Viertel ansehen würden, schließlich gibt es hier doch gar nichts zu sehen.
Daraufhin erklärte ich ihm, dass genau sein Viertel ein Ort ist, den ich durch das Reisen kennenlernen möchte. Wir möchten sehen, wie andere Menschen leben.
Die eigene Lebensrealität in ein Verhältnis setzen
Durch die Einblicke in andere Lebensrealitäten bleibt es natürlich nicht aus, dass man diesen neu gewonnen Einblick mit dem eigenen Leben vergleicht. Genau diesen Gedankengang finde ich einen sehr wertvollen Benefit einer Reise – gerade bei Reisen in fremde Kulturen.
Man lernt aus erster Quelle, wie unterschiedlich man ein Leben führen kann. Es fängt damit an, wo und wie die Menschen leben? Wie ist ihr Alltag strukturiert? Haben sie eine Familie? Leben sie mit ihrer Familie in einem Haus oder in einer Wohnung? Haben sie eine regelmäßiger Arbeit, sind sie selbstständig oder freie Tagelöhner? Wie sieht es in ihrer Nachbarschaft aus? Wo kaufen sie ihre Lebensmittel? Wo gehen die Kinder in die Schule? Wie sieht der Schulweg der Kinder aus?
Diese Fragen könnte man noch in das Unendliche fortsetzen und man kommt zu dem Schluss, dass manche Orte sich maximal von der eigenen Realität unterscheiden und andere Menschen führen durchaus ein Leben, welches sich in gewisser Weise dem eigenen Leben angleicht.
Mittendrin im morgendlichen Leben
Ich gehe wahnsinnig gern in den frühen Morgenstunden mit meiner Kamera durch die Straßen und halte das Leben, welches um mich herum stattfindet, fest.
Genauso habe ich es natürlich auch in Delhi gemacht. Auf den ersten Metern sah ich unzählige Tuktuk-Fahrer, die in ihrem Tuktuks die Nacht verbracht haben und teilweise sogar noch darin schliefen. Zugedeckt mit ihrer Decke, an Schlafsachen ist natürlich nicht zu denken.
Am Ende der Tuktuk-Schlange wurden Tuktuks repariert. Im Hintergrund der Szene kam gerade ein Mann eine lange Leiter herunter geklettert. Er hat die Nacht in einem Zelt auf dem Dach eines Gebäudes gebracht. Dort oben scheint er seine Ruhe zu haben.
Einige Augenblicke später kam mir ein wunderschön geschmückter LKW entgegen. Spätestens jetzt merkte ich, ich bin in Indien angekommen.
Endlich fand ich eine kleine Gasse, in die es sich lohnte, hinzugehen. Die Straße war sehr eng und schmutzig. Schon bald eröffnete sich ein großer Platz, an welchem einige Essensstände waren. Die Menschen aßen gerade Frühstück oder warteten auf ihr Frühstück.
Es war ein komischer Moment für mich. Ich fand keinen Platz, an welchen ich mich stellen konnte, um die ganze Szene als stiller Beobachter genießen zu können. Also wechselte ich von der Mitte des Platzes, an den Rand und wieder zurück in die Mitte. So richtig unsichtbar wurde ich nicht, es störte aber niemanden.
Ich schaute mir ihr Leben an, sie schauten mich an und wir grüßten uns mit einem Lächeln. Danach beachteten die Menschen mich nicht mehr und sie widmeten ihrem Frühstück wieder ihre volle Aufmerksamkeit.
Mein Weg führte mich immer weiter in das Viertel, die Straßen wurden noch schmaler und dunkler. Es kamen mir Menschen ohne Schuhe entgegen, Menschen auf vollbeladenen Fahrrädern und die Shopbesitzer beaugten mich interessiert.
Auch hier, einem Ort, wo wahrscheinlich noch nicht viele Touristen waren, brachten mir die Menschen Interesse und Freundlichkeit entgegen, wenn ich sie oder ihr Umfeld fotografiert habe. Es ist solch ein wunderschönes Miteinander, welches ich so oft erlebe. Nicht selten kommt man in solchen Momenten in ein Gespräch. Entweder unterhält man sich mit Händen, Füßen und dem Lächeln oder kommt irgendwo ein Mensch daher, welcher Englisch sprechen kann.
Dies sind einfach wunderschöne Momente.
Der Weg lohnt sich …
… vor allem, wenn man ab und zu die weniger oft betretenen Wege begeht. Hier bekommt man immer wieder tolle Szenen zu Gesicht, man lernt einzigartige Menschen kennen und bekommt Eindrücke, die einem eine lange Zeit im Leben begleiten werden. Mir persönlich helfen diese Momente und Erinnerungen sogar, den eigenen Alltag besser einordnen zu können und später auch bewältigen zu können.
Danke an alle Menschen, die ich auf diesen Wegen, Gassen, Pfaden und kleinen Straßen treffen durfte.#