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In 80 Tagen um die Welt – Mittendrin im Leben der Menschen von Delhi

Sich in einer Stadt oder in einem Land auf die bekannten Pfade zu begeben, die zu den großen touristischen Attraktionen führen, macht durchaus Sinn. Es wäre schade, Paris zu verlassen, ohne den Eiffelturm gesehen zu haben; Kairo zu bereisen, ohne einen Blick auf die Pyramiden von Gizeh zu werfen; oder Indien zu verlassen, ohne den Anblick des Taj Mahals erlebt zu haben. Diese Orte sind schließlich kulturelle Wahrzeichen, auf die wir Menschen auch ein Stück weit stolz sein können – Geschichte zum Anfassen, wie etwa Machu Picchu oder die Altstadt von Jerusalem.

Mindestens genauso reizvoll finde ich es jedoch, in den verschiedensten Ländern unserer Welt das Leben der Menschen zu beobachten – zu sehen, wie sie ihren Alltag verbringen. Zu versuchen, das Große im ganz Kleinen zu entdecken.

Vom must-do Großen in das wunderschöne Kleine

An einem verregneten Herbsttag las ich in einem meiner zahlreichen Reiseberichte und stolperte über besonders interessante Zeilen. Der Autor beschrieb darin einen Wandel in seiner Art zu reisen. Anfangs sei er verrückt danach gewesen, so viele Bucket-List-Locations wie möglich abzuhaken. Doch je mehr er unterwegs war, desto stärker interessierte ihn das wirkliche Leben der Menschen.

Wie viel savoir-vivre lässt sich direkt am Eiffelturm beobachten? Wahrscheinlich sehr wenig – zumindest deutlich weniger, als in einem der Pariser Viertel, in denen die Menschen ihrem Alltag nachgehen.

Als ich diese Zeilen mit einer Tasse warmem Tee auf der Couch las, fiel mir auf, dass dieser Wandel auch bei mir stattgefunden hat. Natürlich würde ich bei einem Besuch in Paris den Eiffelturm nicht einfach ignorieren. Aber die große Bedeutung, die solche Sehenswürdigkeiten früher für mich hatten, ist inzwischen kleiner geworden.

Ich habe an mir bemerkt, dass mich der Eiffelturm selbst gar nicht mehr so sehr reizt. Viel lieber tauche ich sofort in die kleinen Gassen ab und versuche, mit den Menschen in Kontakt zu kommen. Auf manchen Reisen denke ich mir sogar: Warum sollte ich mir diesen Platz mit unzähligen Touristen teilen? Fotos von dieser Attraktion gibt es schließlich schon genug.

Stattdessen zieht es mich viel stärker zum Schönen und Besonderen im Kleinen: die Menschen in ihrem Alltag zu beobachten – und für einen kurzen Moment Teil ihres Lebens zu werden, wenn ich mit ihnen ins Gespräch komme.

Unterwegs in den kleinen Straßen von Delhi

Meist muss man gar nicht weit laufen, um einen kleinen Einblick in das Leben der Menschen zu bekommen. Oft genügt es, zwei, drei Straßen gegen den Touristenstrom zu gehen und dann noch ein oder zwei Mal abzubiegen – schon ist man mittendrin.

In Delhi ging das sogar noch schneller. Ein wirkliches Zentrum haben wir nicht gefunden, und so standen wir eigentlich sofort mitten im Leben. Links und rechts wurde Essen verkauft, Gegenstände repariert, und überall diskutierten die Menschen lebhaft auf der Straße.

Je weiter wir uns von unserem Hotel entfernten, desto enger wurden die Gassen. Immer mehr kleine Läden reihten sich aneinander, in denen man alles für den täglichen Bedarf kaufen konnte. Die Blicke der Menschen folgten uns neugierig, der Verkehr wurde quirliger – und plötzlich waren wir mittendrin im indischen Alltag.

Mein Blick schweifte staunend über die Straßen, die Häuserfassaden, die unzähligen Street-Food-Wagen. Hier ließ sich jemand direkt auf der Straße tätowieren, dort suchte eine Kuh im Müll nach Futter. Überall dieses laute, strukturierte, faszinierende Durcheinander.

Mit meiner Kamera drängte ich mich an verschiedene Orte, um das Leben einzufangen. Natürlich wird man dabei manchmal fragend angesehen, doch in den meisten Fällen freuten sich die Menschen über mein Interesse an ihrem Viertel. Ein Lächeln half immer – besonders dann, wenn man die Sprache nicht einmal ansatzweise versteht.

Plötzlich wurden wir auf Englisch angesprochen. Der Mann stellte sich als Bodhi vor und lud uns auf ein paar Gebäckstücke ein. Stolz erklärte er, dass dies der beste Laden weit und breit sei – mit einer riesigen Auswahl an süßen Leckereien. Als wir bezahlen wollten, winkte er nur ab und übernahm selbst die Rechnung. Wir unterhielten uns noch lange miteinander, sprachen über unseren Alltag, über seine Nachbarschaft – und er fragte uns, warum wir ausgerechnet sein Viertel besuchen würden. Schließlich gebe es hier doch „nichts zu sehen“.

Daraufhin erklärte ich ihm, dass genau das der Grund ist, warum wir reisen: um zu sehen, wie andere Menschen leben.

Die eigene Lebensrealität in ein Verhältnis setzen

Durch die Einblicke in andere Lebensrealitäten bleibt es natürlich nicht aus, dass man diese Erfahrungen mit dem eigenen Leben vergleicht. Genau das empfinde ich als einen der wertvollsten Benefits des Reisens – gerade in fremde Kulturen.

Man lernt aus erster Hand, wie unterschiedlich ein Leben geführt werden kann. Schon die einfachsten Fragen zeigen das: Wo und wie wohnen die Menschen? Wie ist ihr Alltag strukturiert? Haben sie eine Familie – und wenn ja, leben mehrere Generationen unter einem Dach? Arbeiten sie regelmäßig, sind sie selbstständig oder Tagelöhner? Wie sieht ihre Nachbarschaft aus? Wo kaufen sie ihre Lebensmittel? Wo gehen die Kinder zur Schule – und wie sieht ihr Schulweg aus?

Diese Fragen ließen sich endlos fortführen. Am Ende kommt man zu dem Schluss, dass sich manche Lebensrealitäten maximal von der eigenen unterscheiden – während andere erstaunlich viele Parallelen aufweisen.

Mittendrin im morgendlichen Leben

Ich gehe wahnsinnig gern in den frühen Morgenstunden mit meiner Kamera durch die Straßen und halte das Leben fest, das um mich herum erwacht.

So natürlich auch in Delhi. Schon auf den ersten Metern sah ich unzählige Tuktuk-Fahrer, die die Nacht in ihren Fahrzeugen verbracht hatten – manche schliefen sogar noch, eingewickelt in eine Decke. An Schlafkomfort war dabei natürlich nicht zu denken. Am Ende der langen Tuktuk-Schlange wurden Fahrzeuge repariert. Und im Hintergrund kletterte gerade ein Mann eine hohe Leiter hinunter – er hatte die Nacht in einem Zelt auf dem Dach verbracht, scheinbar sein stiller Rückzugsort über der Stadt.

Wenig später kam mir ein prächtig geschmückter LKW entgegen. Spätestens da wusste ich: Ich bin in Indien angekommen.

Schließlich fand ich eine kleine Gasse, die vielversprechend wirkte. Sie war eng und schmutzig, doch nach wenigen Schritten öffnete sich ein Platz mit mehreren Essensständen. Menschen saßen beisammen, frühstückten oder warteten geduldig auf ihr Essen. Für mich war es ein seltsamer Moment: Ich wusste nicht so recht, wohin mit mir. Als stiller Beobachter wollte ich die Szene aufnehmen, ohne zu stören. Also wanderte ich zwischen Rand und Mitte des Platzes hin und her. Unsichtbar wurde ich zwar nicht – doch gestört hat es niemanden.

Ich schaute mir ihr Leben an, sie schauten mich an – und wir grüßten uns mit einem Lächeln. Danach beachteten mich die Menschen kaum noch und widmeten sich wieder voll und ganz ihrem Frühstück.

Mein Weg führte mich tiefer in das Viertel. Die Straßen wurden noch schmaler, dunkler. Mir begegneten Menschen ohne Schuhe, Männer auf vollbeladenen Fahrrädern, und die Shopbesitzer musterten mich neugierig.

Auch hier, an einem Ort, an dem vermutlich noch nicht viele Touristen vorbeigekommen sind, erlebte ich die gleiche Mischung aus Interesse und Freundlichkeit. Wenn ich Menschen oder ihr Umfeld fotografierte, reagierten sie fast immer offen und herzlich. Oft entwickelte sich daraus sogar ein Gespräch – manchmal mit Händen, Füßen und einem Lächeln, manchmal mit Hilfe eines Vorbeikommenden, der ein wenig Englisch sprach.

Es sind genau diese Momente, die das Reisen für mich so besonders machen.

Der Weg lohnt sich …

… vor allem dann, wenn man ab und zu die weniger oft begangenen Wege einschlägt. Dort entdeckt man immer wieder besondere Szenen, trifft einzigartige Menschen und sammelt Eindrücke, die einen noch lange durchs Leben begleiten.

Mir persönlich helfen genau diese Momente und Erinnerungen, meinen eigenen Alltag besser einzuordnen – und ihn später auch leichter zu bewältigen.

Danke an all die Menschen, die ich auf diesen Wegen, in Gassen, auf Pfaden und in kleinen Straßen kennenlernen durfte.

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