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In 80 Tagen um die Welt – Ein Roadtrip durch Taiwan – Wie wir ein Erdbeben in Taiwan erlebten

Nach unserer Mammut-Tour von Hualien nach Kenting wachten wir am nächsten Morgen in einem Hotel auf – mit einem traumhaften Blick von der Dachterrasse auf die South Bay, nördlich von Kenting gelegen.

Eigentlich hatten wir geplant, die rund 500 Kilometer lange Strecke zu unterbrechen. Doch schließlich entschieden wir uns dagegen und fuhren die Distanz am Stück. Wir wollten so viel Zeit wie möglich im Kenting-Nationalpark verbringen. Dort warten tolle Strände, beeindruckende Natur – und, im Vergleich zum restlichen Taiwan, relativ wenige Menschen. Die Region rund um die Stadt Hengchun ist deutlich dünner besiedelt als andere Teile der Insel.

Uns erwarteten also wunderschöne Tage inmitten einer atemberaubenden Naturkulisse – und ein Naturereignis, auf das Taiwan jedoch liebend gern verzichtet hätte. Wie wir das Erdbeben am 3. April 2024 erlebten, schildere ich hier.

Auf einmal wackelte die Deckenlampe und die Erde bebte

Eigentlich begann der 3. April 2024 ganz idyllisch. Im Süden Taiwans schien die Sonne, und es sollte wieder ungewöhnlich warm für die Jahreszeit werden. Kurz vor 8 Uhr lag ich noch im Bett und dämmerte vor mich hin, als sich plötzlich in meinen Traum ein leichtes Wackeln mischte. Die Erde bebte – fast wellenförmig. Häuser und Natur gerieten in Bewegung, kraftvoll, aber zugleich auf eine seltsam ruhige Art.

Ich schlug die Augen auf und hatte noch immer das Gefühl, als würde ich auf einem schwankenden Schiff liegen oder in einem Wagon sitzen, der über holprige Gleise rattert. Der Blick zur Deckenlampe brachte Gewissheit: Die Erde bebte tatsächlich. Das Gefühl, das mich durchströmte, konnte ich kaum einordnen – aber eines war mir sofort klar: Das musste ein Erdbeben sein.

Draußen auf dem Flur wurde es zeitgleich lauter. Auch die anderen Gäste hatten die Erschütterung gespürt. Und in diesem Moment wurde mir bewusst, wo wir uns befanden: in Taiwan, einem Land, in dem die Erde nicht selten bebt – und manchmal auch große Schäden anrichtet.

Dann ertönte das schrille Signal unserer Smartphones. Gleichzeitig ploppte eine Warnung auf: schweres Erdbeben, mögliche Tsunamis. Wir sollten uns in Sicherheit bringen und die Nachrichten aufmerksam verfolgen.

Was tun?

Nach ein paar Minuten ließ das für uns recht leichte, aber doch deutlich spürbare Beben nach. Alles beruhigte sich wieder. Die Menschen auf dem Gang verschwanden vermutlich zurück in ihre Zimmer. Kein Chaos in unserem kleinen Familienhotel, kein aufbrausender Verkehr vor unserem Balkon – alles blieb ruhig.

Alles … außer Twitter. Natürlich griff ich sofort wieder zum Smartphone und suchte nach Nachrichten.

Schon nach wenigen Sekunden wurde mir klar, welch unglaubliches Glück wir gehabt hatten. Die Stadt, in der wir noch am Vortag übernachtet hatten, war von dem schwersten Erdbeben seit 25 Jahren getroffen worden. Stärke 7,2, in geringer Tiefe, mit dem Epizentrum ganz in der Nähe von Hualien – genau dort, wo wir noch gestern geschlafen hatten.

Ich sah die ersten Bilder und Videos: eingestürzte Mauern, zerstörte Häuser, Trümmer, die die Straßen blockierten. Auch in der Taroko-Schlucht wurden Menschen verletzt oder in den Tunneln eingeschlossen. Spätestens in diesem Moment wurde mir bewusst, welches Glück wir gehabt hatten – dass wir nicht zur falschen Zeit am falschen Ort waren.

Für uns war es das erste wirklich spürbare Erdbeben – entsprechend verunsichert waren wir, wie wir uns nun verhalten sollten. Die Bilder aus dem Epizentrum auf Social Media waren erschreckend. Der Blick vom Balkon unseres Hotels hingegen war ebenfalls erschreckend – aber auf ganz andere Weise: Es war einfach nichts los. Gefühlt interessierte es niemanden.

Beim Frühstück mit der Hotelbesitzerin sprach sie das Erdbeben nicht einmal von sich aus an. Erst auf unsere Nachfrage ging sie kurz darauf ein. Während wir sofort an Nachbeben oder gar eine mögliche Evakuierung dachten, schien sie völlig unbeeindruckt – und servierte uns mit einem Lächeln unsere leckeren Sandwiches.

Letztlich ignorierten auch wir das Erdbeben und taten es den Einheimischen gleich: Wir nahmen unseren Alltag wieder auf. Dennoch verfolgten wir an diesem Tag häufiger die lokalen Nachrichten und hielten Freunde sowie Familie auf dem Laufenden – mit der beruhigenden Nachricht, dass es uns gut ging und wir vom Erdbeben in Taiwan nicht betroffen waren.

Im Laufe des Tages sahen wir immer wieder Einheimische, die zwischendurch die Berichterstattung im Fernsehen verfolgten oder am nächsten Tag die lokale Presse studierten. Dennoch muss man sagen: Die Menschen in Taiwan blieben erstaunlich gelassen. Sie gingen ihrem Alltag nach – alle Geschäfte hatten geöffnet, und selbst das allabendliche Beachlife fand ganz normal statt.

Taiwan lernte aus der Vergangenheit

1999 wurde Taiwan bereits von einem ähnlich schweren Erdbeben getroffen. Damals verloren rund 24.000 Menschen ihr Leben. Beim Beben dieses Jahres gab es zwar ebenfalls Todesopfer, doch die Zahl war mit neun Menschen vergleichsweise gering – ein sehr positiver Fortschritt.

Wie kam es dazu? Taiwan hat in den vergangenen Jahrzehnten massiv investiert und von der engen Zusammenarbeit mit Japan profitiert. Das Land wurde in den letzten 25 Jahren deutlich erdbebensicherer gemacht: durch erdbebengerechte Bauweisen, umfassende Aufklärung der Bevölkerung und ein funktionierendes, schnell reagierendes Warnsystem.

All diese Systeme griffen am 3. April ineinander – und haben unzähligen Menschen das Leben gerettet.

Was nehmen wir aus dieser Situation mit?

Wir sind auf jeden Fall froh, dass wir mit einem blauen Auge davongekommen sind. Unser Reiseplan war flexibel und hätte sich leicht um ein paar Tage verschieben können. Wer weiß – mit etwas mehr Pech wären wir an diesem Tag in Hualien gewesen. In diesem Szenario hätte ich diesen Text vermutlich ganz anders geschrieben.

So aber hatten wir Glück: Wir erlebten nur ein leichtes Beben, blieben gesund und kamen mit den Folgen dieser Naturkatastrophe nicht in Berührung. Gleichzeitig hat uns dieses Erlebnis noch mehr Demut gelehrt – die Dankbarkeit darüber, verschont geblieben zu sein, und das Bewusstsein, wie schnell sich das scheinbar Selbstverständliche im Alltag ändern kann.

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