
Während ich jetzt auf dem bequemen Sofa bei Kerzenschein sitze, erinnere ich mich gern an meine Zeit im Ortlergebiet zurück. Nur ich, der Caddy, meine Wanderschuhe und natürlich mein Fahrrad.
Wie jedes Jahr ging es für mich mit meinem Camping-Caddy auf eine kleine Reise. Diese Reisen führten mich meist in die Alpen, um die Seele bei alpinen Aktivitäten entspannen zu lassen. Ich liebe es, nur für mich allein unterwegs zu sein und alle Verantwortung allein tragen zu müssen bzw. tragen zu dürfen.
So belud ich auch in diesem Jahr den Caddy mit nur den besten Sachen: frische Socken, genügend Sportklamotten, ein wunderschönes Fahrrad kam an die Heckklappe und schon rollte ich mit der Power von fast 80 PS mit nahezu unmessbaren 100 km/h in Richtung der Alpen.
Auf mich sollten viele Höhenmeter, eine atemberaubende, alpine Landschaft und ein paar nette Bekanntschaften warten.
Fahren, fahren, fahren bei Regen, Regen, Regen
An sich bin ich ein großer Freund davon, am Tagesende gemütlich ins Auto zu steigen und den ersten Teil der Nacht über die Autobahn zu gleiten. Die Straßen sind leer, der Verkehr ist durch die Scheinwerfer gut erkennbar und am nächsten Tag kann man direkt vor Ort loslegen. Dieses Jahr änderte ich jedoch meine Gewohnheit und startete direkt nach dem Frühstück.
Die Fahrt vom beschaulichen Sachsen in das westliche Südtirol zog sich ein wenig. Zu mal ich sicherlich die ersten 500 km komplett im Regen fuhr und quasi in einer einzigen Gischt unterwegs war. Aber nichtsdestotrotz genoss ich die Fahrt bei (schon erwähnten) 100 km/h. Endlich habe ich Zeit, meine Podcast-Playlist ganz in Ruhe anzuhören.




Unweit von Garmisch-Partenkirchen entfernt zog der Himmel endlich auf und ich konnte von nun an immer etwas mehr vom Himmel und natürlich von den imposanten Felsriesen sehen.
In Südtirol angekommen, neigte sich der Tag leider schon seinem Ende und ich suchte mir einen Platz zum Schlafen. Hier fand ich einen geeigneten Platz am Reschensee.
Leider zeigte es sich auch hier wieder: Camping in der Alpen ist am Ende. Es ist einfach zu voll. Der erste Campingplatz war komplett ausgebucht und auf dem zweiten Campingplatz habe ich lediglich einen kleinen Platz auf dem etwas weiter entfernt liegenden Stellplatz bekommen. An sich ist das kein Problem: Jedoch war die Nutzung der Toilette und der Dusche lediglich über das Hotel möglich. Und dadurch waren die Öffnungszeiten der Toilette sowie der Dusche stark begrenzt.



Schnell auf das Stilfser Joch huschen
Am nächsten Morgen ging es nach dem Frühstück direkt nach Prad am Stilfser. Hier habe ich einen geeigneten Parkplatz für das Auto gefunden und bereitete mich für meinen glorreichen Ritt vor. Trinkblase und Flaschen auffüllen, Radsachen anziehen und natürlich darf die Stylo-Sportbrille nicht fehlen. Denn wir wissen alle: Ohne solch eine überdimensionale Radbrille wird man einfach nicht mehr ernstgenommen.
Kurz nach 9 Uhr ging es dann endlich los. Ich pedalierte auf der Straße in Richtung Stilfser Joch. Es war kaum zu glauben. In diesem Moment versuchte ich gedanklich herauszufinden, wann ich das erste Mal auf das Stilfser Joch aufmerksam wurde. Mein erster Kontakt muss irgendwo in der Jugend stattgefunden haben. Auf einer der zahlreichen Südtirol-Reisen mit meiner Familie habe ich die durchtrainierten und in Neon-Farben gekleideten Rennradfahrer und -fahrerinnen gesehen, wie sie im Vinschgau abgebogen sind, um die alpinistischen Radfahrer-Olymp zu erklettern. Also schwor ich mir damals, auf das Stilfser Joch werde ich auch einmal huschen.
Nun will ich mich nicht in noch mehr unnützen Worten verlieren. Der erste Teil der Grand Tour auf das Joch zeigt sich als recht flach, aber mit jedem weiteren Kilometer wird es langsam aber sicher steiler. Die letzten Ortschaften verschwinden, die Bäume verschwinden nach und nach ebenfalls und ruckzuck findet man sich in einer spektakulären Serpentinenlandschaft wieder.



Die Nummerierung der Kehren stieg, stieg, stieg und stieg immer weiter an. In manchen Abschnitten huschte ich an den Kehren vorbei. Manchmal zogen sich die Kehren wie ein zäher Kaugummi. Insgesamt war die Radfahrt sehr unterhaltsam: wunderschöner Landschaft, ab und zu ein Motorrad, in regelmäßigen Abständen überholte ich Radsportler oder Radsportlerinnen bzw. wurde von ihnen überholt, ab und zu bretterte ein Sportwagen an mir vorbei oder es quälte sich ein überladener Camper an mir vorbei.
Schneller als gedacht auf dem Joch angekommen
Nach knappen 22 km Anstieg pedalierte ich entlang der letzten Kehren und erblickte schon in weiter Entfernung den Trubel am Joch. Ich erwartete hier oben keine Beschaulichkeit, Einsamkeit oder einen Naturpark. Vielleicht überraschte mich aus diesem Grund die wunderbare Radsport-Atmosphäre hier oben. Imbissbuden, Souvenirshops und zig Rennräder in einem summierten Wert des Bruttoinlandprodukts eines kleinen Inselstaates. Es war irgendwie schön und lohnenswert.
Dennoch fand ich abseits des Trubels einen ruhigen Ort und konnte ganz entspannt auf die Szenerie aus alten Bauten, Menschen, dem Ortler-Massiv und Souvenirshops blicken.






Das vielleicht wahre Highlight der Tour … die Abfahrt
Nach ca. 2 Stunden am Joch stieg ich dick eingepackt wieder auf das Rad und begab mich in die Abfahrt. Ich kann nur eins schreiben: Die Vorzüge eine 22 km langen Abfahrt muss man nicht suchen.
In der App meiner Pulsuhr konnte ich nach der Abfahrt sehen, dass ich auch hier durchschnittlich einen Puls von 160 Schlägen pro Minute hat.
Leider lässt sich daraus schließen, mit wie viel (sinnlosen) Risiko ich bergab gefahren bin. Schnelle Antritte, hartes Anbremsen der Kurven, das Überholen von Autos und Motorrädern. Es war vielleicht nicht clever, aber wunderschön. Somit waren die gewonnen Höhenmeter recht schnell wieder neutralisiert und ich stand voller Glück vor meinem Auto.


Glücklich war ich vor allem darüber, dass ich meinen Autoschlüssel nicht auf dem Stilfser Joch verloren habe. Denn trotz aller Liebe zum Stelvio, wäre ich an diesem Tag nicht noch einmal auf das Joch gefahren.
Wie viele Sterne vergebe ich dem Stelvio?
… auf jeden Fall ist eine Runde auf das Stelvio eine große Empfehlung und somit reiht es sich in die Reihe der 5-Sterne-Pässe ein. Das Stelvio bietet dem fleißigen Radlerin oder Radler eine wunderschöne Natur, langes Bergauf-Fahren, viel Zeit im Hochgebirge, viele tolle Radler-Freunde auf dem Pass und überhaupt.
Den Autoverkehr fand ich überhaupt nicht nervig und war für mich wirklich okay. Die Stimmung unter den Radlern war phänomenal: Es wird gegrüßt, man sieht den ein oder anderen Radler mehrmals wieder und auf dem Gipfel sind alle froh. Es war ein Erlebnis, welches ich nicht so schnell vergessen möchte.
Viva la Stelvio!
[…] war ich auch, dass Arne mich nach einigen Monaten erkannt hat und mich gleich unserer Begegnung am Stilfser Joch zuordnen […]