
Als wir von unserem Balkan-Roadtrip zurückkehrten, war die Sehnsucht nach kühlen Nächten groß. Genug Tage hatten wir zwischen Serbien und Albanien geschwitzt und versucht, der Hitze so gut es ging zu entkommen.
Spontan führte uns der Weg ins Passeiertal nach Südtirol. Dort waren wir schon vor einigen Jahren und freuten uns, dass uns der Zufall erneut an diesen schönen Ort brachte.
Nachdem wir uns einen Tag von den Reisestrapazen erholt hatten, wollten wir am darauffolgenden Tag eine Wanderung unternehmen. Die eigentliche Herausforderung bestand jedoch darin, sich für eine Tour zu entscheiden. In dieser Region der Alpen gibt es unzählige lohnenswerte Möglichkeiten. Eines haben die meisten Wanderungen in Südtirol aber gemeinsam: Man ist selten allein in den Bergen unterwegs.
Rückblickend hatten wir großes Glück, dass wir uns für die Tour zum Hochwart im Hinterpasseier entschieden. Auf diesem Weg waren wir fast allein unterwegs.
Über die Timmelsjochstraße nach Stuls
Die Anfahrt war wunderschön, denn ein Stück führte uns die Timmelsjochstraße entlang. In Moos im Passeier bogen wir schließlich in Richtung unseres Parkplatzes ab. Dieser lag im kleinen Ort Stuls (Stulles) und bot Platz für nur wenige Autos. Die Rucksäcke waren schnell mit dem Wichtigsten gepackt, und wir freuten uns riesig über die angenehmen 12 °C bei strahlendem Sonnenschein.

Stille Wege im Hinterpasseier
Gemächlich legten wir Schritt für Schritt die Höhenmeter zurück. Zunächst führte der Weg durch dichten Wald, später wurde er flacher, und vor uns eröffneten sich weite Blicke auf die umliegende Bergwelt Südtirols.
In meinem Wanderführer zählt diese Tour zu den attraktivsten Wanderungen im Hinterpasseier. Umso schöner war es, dass wir an diesem Tag kaum einer Menschenseele begegneten. Schon hier fühlte es sich an, als hätte sich die Wanderung gelohnt.
Der Pfad führte uns vorbei an den Bergwiesen der Stuller Mahder. Sie waren von kleinen Lärchenwäldern durchzogen, die sich in wenigen Wochen goldbraun verfärben und der Landschaft ihren ganz besonderen Reiz verleihen würden.
In der Nähe der Toniger Hütte, die nicht bewirtschaftet ist, konnten wir Bergbauern dabei beobachten, wie sie ihre Wiesen mit schwerer Technik und dennoch mühsamer Arbeit mähten. Der Weg schlängelte sich inzwischen sanft ansteigend in Richtung Hochalm (2174 m).





Der Hochwart – Allein auf 2608 Metern
An der Hochalm kehrten wir kurz ein und bestellten eine Apfelsaftschorle, eine Holunderblütenschorle und zwei Stück hausgemachten Kuchen. Meine Apfelsaftschorle wollte ich jedoch erst später genießen. Also ließ ich mein Gepäck und meine Freundin an der Hütte zurück und machte mich auf den Weg zum Hochwart (2608 m).
Nur mit Kamera, Handy und einer Jacke ausgerüstet, konnte ich die letzten 500 Höhenmeter schnell überwinden. Schon bald stand ich auf dem Gipfel, der mir eine atemberaubende Aussicht auf die Berge des Passeiertals eröffnete. Ich blieb eine Weile oben und ließ das Panorama in aller Ruhe auf mich wirken.
Für mich gibt es kaum etwas Schöneres, als den Blick von Gipfel zu Gipfel schweifen zu lassen. In Verbindung mit der Ruhe am Hochwart war dieser Moment für mich etwas ganz Besonderes.
Nachdem ich mich ins Gipfelbuch eingetragen hatte, begann ich den Abstieg. Schon beim Aufstieg hatte ich eine kurze Passage mit leichter Kletterei zu überwinden. Diese Stelle meisterte ich nun mit voller Konzentration auch bergab, bevor ich wieder in einen lockeren Schritt überging. Vorbei an den zahlreichen Schafen, die mich schon beim Aufstieg gesehen hatten und nun deutlich entspannter reagierten als noch vor zwanzig Minuten.
Wie so oft war der Abstieg nur ein Bruchteil der Zeit des Aufstiegs. Der Hochwart erwies sich als ein wunderschöner Gipfel, der insgesamt nur einen Umweg von rund 45 Minuten bedeutete.




Die Hochalm – Zwischen urig und inszeniert
In der Hütte angekommen, traf ich wieder auf meine Freundin und belohnte mich mit meiner Apfelschorle. Der halbe Liter dieses köstlichen Getränks war in wenigen Schlucken ausgetrunken. Wir blieben noch eine ganze Weile sitzen, genossen die wunderschöne Aussicht und betrachteten die Gipfel aus nächster Nähe mit meinem neuen Fernglas.
Dort begegneten wir einem Pärchen, das zum ersten Mal in den Alpen war. Aus ihren Erzählungen war es spannend, ihre Sicht auf die Berge kennenzulernen. Sie waren begeistert von den felsigen Riesen, mussten sich an deren Anblick jedoch erst gewöhnen – kein Wunder, schließlich stammen sie von der Nordsee. Besonders interessant fanden wir, dass sie sich gleich für zehn Tage auf dieser Hütte einquartiert hatten.
Die Hütte selbst ist ebenfalls wunderschön. Auf 2000 Metern gelegen, machte sie einen sehr gepflegten Eindruck. Man konnte hier alles erleben, was zum Klischee einer Berghütte gehört. Der Hüttenwirt war ausgesprochen sympathisch, und auch wir wären gerne noch länger geblieben. Doch unser Caddy wartete im Tal, und unsere Reise neigte sich dem Ende zu.
Zuhause habe ich die Hütte auf Instagram wiedergefunden und festgestellt, dass der Wirt sehr geschäftstüchtig ist. Nur wenige Tage nach unserem Besuch legte dort oben ein DJ auf. Außerdem bietet er Yogaretreats mit Übernachtung und viele andere „Happenings“ an. Das entspricht nicht ganz meiner Vorstellung einer Berghütte. Ich mag es lieber ruhig, authentisch und urig. Natürlich nehme ich Annehmlichkeiten wie gutes Essen, ein Doppelzimmer und fließendes Wasser gern in Kauf, aber ein solches Event-Programm wäre mir zu viel Trubel.
Stell dir vor, du hast dich für ein paar Nächte auf einer Hütte eingemietet – und plötzlich legt am Abend ein DJ auf.





Einsamkeit als Geschenk
Wir verließen die Hochalm in Richtung Tal und suchten uns zuerst einen Platz für unsere Brotzeit. Hüttenessen ist oft recht teuer, und so war es auch hier. In der Hütte duftete es zwar verführerisch, doch wir entschieden uns dafür, unser mitgebrachtes Essen auszupacken.
Schon bald fanden wir eine schöne Stelle auf einer der vielen Wiesen, die sich wie ein Balkon an den Berghang schmiegen. Dort ließen wir uns Käse, Wurst und Brot schmecken.
Frisch gestärkt machten wir uns an den Abstieg. Er war landschaftlich weniger spannend, aber dennoch angenehm. Gegen Ende der Tour begegneten wir noch einem Bauern, der zusammen mit seiner Familie die Wiesenernte in seine Scheune einfuhr.
Zum Abschluss freuten wir uns noch einmal darüber, dass wir auf dieser Runde fast keine Menschenseele getroffen hatten. Gerade diese Einsamkeit in Verbindung mit der durchweg herrlichen Aussicht verlieh der Tour einen ganz besonderen und unvergesslichen Charakter.

